Montag, 14. Juni 2010

Die Geschichte - Die Ausbeutung der Kinder

(...) Und er malte eine Zukunft aus, in der Kinder von früh bis spät in Fabriken eingesperrt, um Luft, Sonne, ja um alles gebracht würden, was für ein menschliches Gedeihen nötig sei. Das war das Vorspiel zur ersten parlamentarischen Debatte zum Thema Kinderarbeit in Deutschland. Denn Schuchard war nicht irgendwer, er war Abgeordneter im rheinischen Provinziallandtag, der im gleichen Jahr eine Petition an den preußischen König richtete, die auf ein Kinderschutzgesetz drängte. (...)

(...) Preußen kannte in Anfängen bereits seit 1717 so etwas wie eine Schulpflicht. Doch wurde deren Wert als Erziehungsinstanz sogar von amtlichen Stellen infrage gestellt, wie etwa vom Regierungspräsidenten in Potsdam, der schrieb: „Manche Laster, die ich nicht zu nennen brauche, dürften durch das Stillsitzen der Kinder in den Trivial-Schulen begünstigt, während sie durch die anhaltende Beschäftigung und Ermüdung derselben in einer Fabrik verhütet werden.“

Dies war keineswegs eine Außenseitermeinung: Arbeit, so hart sie auch sein mochte, erschien vielen Zeitgenossen als probates Erziehungsmittel. Sogenannte Fabrikschulen hatten seit 1815 Konjunktur, die Schulstunden sollten entweder in der Mittagspause oder nach der Arbeit stattfinden, wobei das Schulgeld den Kindern vom Lohn abgezogen wurde. Kinderarbeit galt gar als pädagogisch wertvoll, vermittele sie doch Tugenden wie Fleiß, Gehorsam, Pünktlichkeit. Wie der königliche Oberpräsident der preußischen Regierungsbezirke befand, habe der Schulbesuch demgegenüber zurückzustehen: „Er ist mit der Fabrikarbeit schwer zu vereinbaren. Er hat ergänzende Erziehungsaufgaben.“ (...)

(...) Ein wenig Bewegung in die Sache kam erst wieder, als der General Heinrich Wilhelm von Horn einen Landwehrgeschäftsbericht vorlegte. Das Militär verfüge in den Fabrikgegenden Preußens nicht mehr über genug Reserven, hieß es darin. Nächtliche Fabrikarbeit habe den Nachwuchs derart geschwächt, dass er zum Militärdienst nicht mehr taugte. Die Sorge, Preußen könnten die Soldaten ausgehen, beunruhigte den König außerordentlich. Es dürfe nicht sein, dass künftige Generationen noch schwächlicher und verkrüppelter wären als die jetzige, schrieb Friedrich Wilhelm III. an seine Minister.
Es sollte immer noch Jahre dauern. Und wer schließlich den Ausschlag gab, das Militär mit seinem Bedarf an gesunden Rekruten oder Humanisten wie Schuchard, die die Debatte in die Öffentlichkeit trugen, ist unklar. Immerhin, mit dem preußischen „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken“ vom 9. März 1839 wurde das erste Kinderschutzgesetz in Deutschland verabschiedet.
Kinder unter neun durften fortan nicht mehr in Fabriken beschäftigt werden, Jugendliche unter 17 nur, wenn sie einen dreijährigen Schulbesuch nachweisen konnten. Bis zum 17. Lebensjahr durfte nicht länger als zehn Stunden täglich gearbeitet werden. (...)

http://www.tagesspiegel.de/zeitung/die-ausbeutung-der-kinder/1852056.html

[Es lohnt sich den ganzen Artikel zu lesen!]

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